Matthias Claudius: Der Bauer, nach geendigtem Prozeß

Gottlob, daß ich ein Bauer bin;
Und nicht ein Advokat,
Der alle Tage seinen Sinn
Auf Zank und Streiten hat.

Und wenn er noch so ehrlich ist,
Wie sie nicht alle sind;
Fahr ich doch lieber meinen M…
In Regen und in Wind.

Denn davon wächst die Saat herfür,
Ohn Hülfe des Gerichts;
Aus nichts wird etwas denn bei mir,
Bei ihm aus etwas nichts.

Gottlob, daß ich ein Bauer bin;
Und nicht ein Advokat!
Und fahr ich wieder zu ihm hin;
So breche mir das Rad!

Gottfried August Bürger: Naturrecht

Von Blum‘ und Frucht, so die Natur erschafft,
Darf ich zur Lust, wie zum Bedürfnis, pflücken.
Ich darf getrost nach allem Schönen blicken,
Und atmen darf ich jeder Würze Kraft.

Ich darf die Traub‘, ich darf der Biene Saft,
Des Schafes Milch in meine Schale drücken.
Mir front der Stier; mir beut das Roß den Rücken;
Der Seidenwurm spinnt Atlas mir und Taft.

Es darf das Lied der holden Nachtigallen
Mich, hingestreckt auf Flaumen oder Moos,
Wohl in den Schlaf, wohl aus dem Schlafe hallen.

Was wehrt es denn mir Menschensatzung, bloß
Aus blödem Wahn, in Mollys Wonneschoß,
Von Lieb und Lust bezwungen, hinzufallen?

Matthias Claudius: Fuchs und Bär

Kam einst ein Fuchs vom Dorfe her,
früh in der Morgenstunde,
und trug ein Huhn im Munde;
und es begegnet‘ ihm ein Bär.
„Ah! Guten Morgen, gnädiger Herr!
Ich bringe hier ein Huhn für Sie;
Ihr Gnaden promenieren ziemlich früh,
wo geht die Reise hin?“
„Was heißest du mich gnädig, Vieh!
Wer sagt dir, daß ich’s bin?“
„Sah Dero Zahn, wenn ich es sagen darf,
und Dero Zahn ist lang und scharf.“

Johann Wolfgang von Goethe: Frühzeitiger Frühling

Tage der Wonne,
Kommt ihr so bald?
Schenkt mir die Sonne,
Hügel und Wald?

Reichlicher fließen
Bächlein zumal.
Sind es die Wiesen?
Ist es das Tal?

Blauliche Frische!
Himmel und Höh!
Goldene Fische
Wimmeln im See.

Buntes Gefieder
Rauschet im Hain;
Himmlische Lieder
Schallen darein.

Unter des Grünen
Blühender Kraft
Naschen die Bienen
Summend am Saft.

Leise Bewegung
Bebt in der Luft,
Reizende Regung,
Schläfernder Duft.

Mächtiger rühret
Bald sich ein Hauch,
Doch er verlieret
Gleich sich im Strauch.

Aber zum Busen
Kehrt er zurück.
Helfet, ihr Musen,
Tragen das Glück!

Saget, seit gestern
Wie mir geschah?
Liebliche Schwestern,
Liebchen ist da!

Clemens Brentano: O Tannebaum!

O Tannebaum! o Tannebaum!
Du bist mir ein edler Zweig,
So treu bist du, man glaubt es kaum,
Grünst sommers und winters gleich.

Wenn andere Bäume schneeweiß sein
Und traurig um sich sehen,
Sieht man den Tannebaum allein
Ganz grün im Walde stehen.

O Tannebaum! o Tannebaum! etc.

Mein Schätzel ist kein Tannebaum,
Ist auch kein edler Zweig,
Ich war ihm treu, man glaubt es kaum,
Doch blieb er mir nicht gleich.

O Tannebaum! o Tannebaum! etc.

Er sah die andern schneeweiß sein
Und schimmernd um sich sehn,
Und mochte nicht mehr grün allein
Bei mir im Walde stehn.

O Tannebaum! o Tannebaum! etc.

Der andern Bäume dürres Reis
Schlägt grün im Frühling aus,
Pocht er sein Röckchen, bleibts doch weiß,
Schlägt nie das Grün heraus.

O Tannebaum! o Tannebaum! etc.

Oft hab ich bei mir selbst gedacht,
Er kömmt noch einst nach Haus,
Spricht: Hab mir selbst was weiß gemacht,
Poch mir mein Röcklein aus.

O Tannebaum! o Tannebaum! etc.

Und klopft ich ihn auch poch, poch, poch,
So fliegt nur Staub heraus;
Das schöne treue Grün kommt doch
Nun nimmermehr heraus.

O Tannebaum! o Tannebaum! etc.

Drum als er mich letzt angelacht,
Ich ihm zur Antwort gab:
Hast dir und mir was weiß gemacht,
Dein Röcklein färbet ab.

O Tannebaum! o Tannebaum! etc.

O Tannebaum! o Tannebaum!
Wie traurig ist dein Zweig,
Du bist mir wie ein stiller Traum,
Und mein Gedanken gleich.

O Tannebaum! o Tannebaum! etc.

Du sahst so gar ernsthaftig zu,
Als er mir Treu versprach,
Sprich, sag mir doch, was denkest du,
Daß er mir Treue brach.

O Tannebaum! o Tannebaum! etc.

Matthias Claudius: Abendlied

Der Mond ist aufgegangen,
Die goldnen Sternlein prangen
Am Himmel hell und klar;
Der Wald steht schwarz und schweiget,
Und aus den Wiesen steiget
Der weiße Nebel wunderbar.

Wie ist die Welt so stille,
Und in der Dämmrung Hülle
So traulich und so hold!
Als eine stille Kammer,
Wo ihr des Tages Jammer
Verschlafen und vergessen sollt.

Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.

Wir stolze Menschenkinder
Sind eitel arme Sünder
Und wissen gar nicht viel;
Wir spinnen Luftgespinste
Und suchen viele Künste
Und kommen weiter von dem Ziel.

Gott,laß uns dein Heil schauen,
Auf nichts Vergänglichs trauen,
Nicht Eitelkeit uns freun!
Laß uns einfältig werden
Und vor dir hier auf Erden
Wie Kinder fromm und fröhlich sein!

Wollst endlich sonder Grämen
Aus dieser Welt uns nehmen
Durch einen sanften Tod!
Und, wenn du uns genommen,
Laß uns in Himmel kommen,
Du unser Herr und unser Gott!

So legt euch denn, ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder;
Kalt ist der Abendhauch.
Verschon uns, Gott! mit Strafen,
Und laß uns ruhig schlafen!
Und unsern kranken Nachbar auch!

Gottfried August Bürger: Der Bauer

Der Bauer
An seinen Durchlauchtigen Tyrannen

Wer bist du, Fürst, daß ohne Scheu
Zerrollen mich dein Wagenrad,
Zerschlagen darf dein Roß?

Wer bist du, Fürst, daß in mein Fleisch
Dein Freund, dein Jagdhund, ungebläut
Darf Klau‘ und Rachen haun?

Wer bist du, daß, durch Saat und Forst,
Das Hurra deiner Jagd mich treibt,
Entatmet, wie das Wild? –

Die Saat, so deine Jagd zertritt,
Was Roß, und Hund, und du verschlingst,
Das Brot, du Fürst, ist mein.

Du Fürst hast nicht, bei Egg und Pflug,
Hast nicht den Erntetag durchschwitzt.
Mein, mein ist Fleiß und Brot! –

Ha! du wärst Obrigkeit von Gott?
Gott spendet Segen aus; du raubst!
Du nicht von Gott, Tyrann!