Novalis: Die Milbe

»Nichts ist gewisser«, sprach eine Milbe zu der andern, »als daß unser Käse der Mittelpunkt des erhabnen Weltsystems ist und daß wir die besondern Lieblinge des Allmächtigen sind, weil er uns die vollkommenste Wohnung erschuf.« »Törin«, sprach ein Mensch, indem er sie mit ihrem Käse verschlang. »Du denkst, wie viele meiner Brüder denken, du auf deinem Käse, sie auf den Ihrigen.«

Ludwig Uhland: Frühlingsglaube

Die linden Lüfte sind erwacht,
Sie säuseln und weben Tag und Nacht,
Sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun muß sich alles, alles wenden.

Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
Man weiß nicht, was noch werden mag,
Das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste, Tal:
Nun, armes Herz, vergiß der Qual!
Nun muß sich alles, alles wenden.

Ludwig Uhland: Die Malve

Wieder hab ich dich gesehen,
Blasse Malve! blühst du schon?
Ja! mich traf ein schaurig Wehen,
All mein Frühling welkt davon.
Bist du doch des Herbstes Rose,
Der gesunknen Sonne Kind,
Bist die starre, düftelose,
Deren Blüten keine sind.

Gerne wollt‘ ich dich begrüßen,
Blühtest du nicht rosenfarb,
Lögst du nicht das Rot der Süßen,
Die noch eben glüht‘ und starb.
Heuchle nicht des Lenzes Dauer!
Du bedarfst des Scheines nicht;
Hast ja schöne, dunkle Trauer,
Hast ja weißes, sanftes Licht.

Ludwig Uhland: Der weiße Hirsch

Es gingen drei Jäger wohl auf die Pirsch,
sie wollten erjagen den weißen Hirsch.

Sie legten sich unter den Tannenbaum,
da hatten die drei einen seltsamen Traum.

Der erste.
Mir hat geträumt, ich klopft auf den Busch,
da rauschte der Hirsch heraus, husch husch!

Der zweite.
Und als er sprang mit der Hunde Geklaff,
da brannt’ ich ihn auf das Fell, piff, paff!

Der dritte.
Und als ich den Hirsch an der Erde sah,
da stieß ich lustig ins Horn, trara!

So lagen sie da und sprachen, die drei,
da rannte der weiße Hirsch vorbei.

Und eh’ die drei Jäger ihn recht gesehn,
so war er davon über Tiefen und Höhn.
Husch husch! piff, paff! trara!