Heidelberg: Hundertfacher Tod streng geschützter Eidechsen

Nachfolgend wird eine geringfügig gekürzte und veränderte Pressemitteilung des NABU Baden-Württemberg dokumentiert.

Hundertfacher Tod streng geschützter Eidechsen

Heidelberg setzt seinen Titel „Bundeshauptstadt im Naturschutz“ aufs Spiel

Heidelberg – Einen sofortigen Stopp des Heidelberger Großbauprojektes „Bahnstadt“ fordern der Naturschutzbund NABU und die Deutsche Gesellschaft für Herpetologie und Terrarienkunde (DGHT). Die Stadt Heidelberg nehme mit diesem Projekt den Tod hunderter streng geschützter Mauereidechsen in Kauf und setze so ihren Titel als „Bundeshauptstadt des Naturschutzes“ aufs Spiel. Erst wenn gewährleistet ist, dass die Eidechsen in den ihnen zugewiesenen neuen Ausweich-Lebensräumen überleben können, dürfe weiter gebaut werden.

Das Gelände des neu entstehenden Stadtteils Bahnstadt beherbergt mit 3.000 bis 5.000 Exemplaren eine der bundesweit größten Populationen der Mauereidechse. Diese Tierart genießt den nach EU-Recht höchsten Schutzstatus. Deshalb müssen die Eidechsen für das Bauprojekt auf neue Flächen umgesiedelt werden. Das Problem: Auf den neu gestalteten Ausweichflächen sind die insektenfressenden Mauereidechsen dem Hungertod ausgeliefert. Bislang leben auf den neuen Flächen kaum Insekten, da dort noch zu wenige Pflanzen wachsen. Trotzdem begann die Stadt, die Tiere umzusiedeln. „Hunderte der streng geschützten Mauereidechsen hat die Stadt im vergangenen Jahr in den sicheren Tod geschickt“, kritisiert Reptilienspezialist Hubert Laufer vom NABU-Bundesfachausschuss für Herpetologie (Amphibien- und Reptilienkunde). NABU und DGHT haben Oberbürgermeister Dr. Eckart Würzner bereits mehrfach aufgefordert, die Reptilien erst dann umzusiedeln, wenn sie im Zielgebiet überleben können.

Die Heidelberger Mauereidechsen-Katastrophe begann mit einer schlechten Planung: Auf dem über 45 Hektar großen Bahngelände wurden nur 510 Mauereidechsen gezählt – und damit ein Großteil übersehen. Die neuen Lebensräume sind mit zwei Hektar deshalb viel zu klein für die in Wirklichkeit viel größeren Bestände. Als die Stadt dann mit der Umsiedelung begann, wurden mehr als 1.000 Mauereidechsen eingefangen und auf den neuen Flächen ausgesetzt. „Obwohl die Tiere große Reviere brauchen und die neuen Lebensräume derzeit nur wenigen dutzend Tieren Nahrung bieten, hat die Stadt über 1.000 Tiere umgesiedelt – und sie so in den sicheren Tod geschickt“, erklärt NABU-Landeschef Dr. Andre Baumann.

Für die Zauneidechsen kam es noch schlimmer: Für sie wurden gar keine Ausgleichsflächen angelegt, obwohl das rechtlich eindeutig erforderlich gewesen wäre. Durch den Bau der Ausgleichsflächen für die Mauereidechsen wurden dann auch noch die bisherigen Lebensräume der Zauneidechse zerstört. NABU und DGHT hatten auch hier protestiert – ohne Erfolg. Einen Rechtsanspruch auf Ausgleich hätten auch andere besonders geschützte Arten wie alle Wildbienen- und einige Heuschrecken-Arten. Bisher werden auch diese Arten nicht berücksichtigt.

„Die ‚Bundeshauptstadt im Naturschutz’ muss beweisen, dass sie diesen Titel zu Recht trägt“, fordert NABU-Chef Baumann. „Baugebiete auf Brachflächen zu entwickeln ist ohne Frage besser als auf der grünen Wiese zu bauen. Aber auch auf Brachen darf die Natur nicht mit Füßen getreten werden.“ Der Heidelberger Herpetologe Dr. Nicolá Lutzmann von der DGHT weist darauf hin, dass „trotz vielfacher Kontaktaufnahme zu den Behörden und dem leitenden Planungsbüro auch in diesem Jahr auf weiteren Teilflächen die Arbeiten weitergeführt werden sollen – entgegen den Einwänden der Naturschutzverbände und gegen die Empfehlung der vom Bauträger selbst einberufenen Expertenrunde. Damit wird wieder der Tod einer nicht absehbaren Zahl von Eidechsen in Kauf genommen.“

NABU und DGHT haben daher das Regierungspräsidium Karlsruhe (RP) aufgefordert, die Fanggenehmigung zurückzuziehen. Sie ist für die weitere Umsiedelung der geschützten Tiere nötig. „Das RP hat genehmigt, dass Mauereidechsen umgesiedelt werden dürfen, wenn sie am Zielort dauerhaft überleben können. Diese Voraussetzung erfüllen die Ausweichflächen derzeit nicht – hunderte Eidechsen verhungern. Das ist unerträglich und deshalb muss das RP seine Genehmigung wieder zurückziehen“, fordert Baumann.

„Wir haben der Deutschen Umwelthilfe und dem Bundesumweltministerium heute empfohlen, Heidelberg den Titel als ‚Bundeshauptstadt im Naturschutz’ abzuerkennen, falls nicht binnen zwei Wochen ein Baustopp verhängt wird“, so die Vertreter von NABU und DGHT.

Hintergrund-Info
Die Mauereidechse Podarcis muralis

Körperbau und Aussehen
Die Mauereidechse gehört zu den Reptilien und wird inklusive Schwanz bis zu 22 Zentimeter lang. Sie hat einen schlanken, abgeflachten Körper und einen spitzen Kopf. Ihre Verwandte, die Zauneidechse wirkt kräftiger und plumper. Ihr Schwanz ist ungefähr doppelt so lang wie der restliche Körper.

Die Rückenfärbung ist hell- bis mittelbraun oder grau, selten grünlich. Auffallend ist eine unregelmäßige schwärzliche Fleckung, die häufig ein Netzmuster bildet. Die Unterseite ist sehr variabel gefärbt, von weißlich über gelblich bis rot und von ungefleckt bis gefleckt.

Mauereidechsen können in Körperfärbung und Zeichnungsmuster stark variieren. Sie sind deshalb nicht immer einfach zu bestimmen.

Lebensraum und Verbreitung
Die Mauereidechse ist von Nordspanien über Frankreich, Süddeutschland, Italien, Griechenland und die Balkanländer bis in die nordwestliche Türkei verbreitet. In Deutschland lebt die Art schwerpunktmäßig im Südwesten in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz.

Als Reptil liebt die Mauereidechse Sonne und Wärme. Sie bewohnt deshalb vor allem Südhänge an Rhein, Neckar und Mosel. Bevorzugt werden trockene Gebiete. Ihre natürlichen Lebensräume waren die trocken-warmen Standorte in der Flussaue. Als Kulturfolger ist die Mauereidechse auch in Weinbergen, auf Güterbahnhöfen sowie an Mauern und Gebäuden in Siedlungen anzutreffen.

Lebensweise und Ernährung

Die Mauereidechse ist tagaktiv, äußerst flink und klettert sehr gut. Ihr Gelege umfasst zwei bis zehn Eier. Auf dem Speisezettel der Mauereidechsen stehen vor allem Insekten und Spinnen.

Je nach lokalem Klima zieht sich die Mauereidechse von Oktober bis März in frostfreie Erdspalten zur Winterruhe zurück.

Schutzstatus
Europäische Richtlinie Fauna-Flora-Habitat – Anhang IV: streng geschützt
Bundesnaturschutzgesetz – streng geschützt
Rote Liste Deutschland und Baden-Württemberg – 2: stark gefährdet