SPD baut Demokratie in Hamburg ab

Von der Hamburg SPD-Alleinregierung wird derzeit – unter emsiger Mithilfe einiger sozialdemokratischer Bezirksamtsleiter und Funktionäre – Demokratie abgebaut, ohne dass es die Öffentlichkeit und die Betroffenen richtig bemerken. Betroffen sind vor allem die Bezirksparlamente sowie Bürger, die ihren gesetzlichen Anspruch auf direktdemokratische Mitentscheidung wahrnehmen wollen.
Nächstes Treffen der Projektgruppe Stadtnatur am Mittwoch, 8. Juni 2011, um 19 Uhr im Bürgertreff Altona-Nord

Vorankündigung: WORKSHOP Ökologie, Kontrolle und ökonomische Verwertung öffentlicher Räume in der neoliberalen Stadt, koordiniert von der Projektgruppe Stadtnatur Hamburg, beim Recht-auf-Stadt-Kongress am Freitag, 3. Juni 2011, 17:30-19:00 Uhr, in der Schokoladenfabrik, Marktstraße 138, 20357 Hamburg

Kaum zu glauben: Hamburgs Spezialist für die Aushebelung von Bürgerentscheiden will zu einem „Bürgerinitiativen-Gipfel“ einladen. Dazu Fragen und Anmerkungen der ISEBEK-INITIATIVE, mit einem Beitrag der Gebrüder Grimm.

Im Stadtstaat Hamburg wird gerade eine Art neues Regierungssystem eingerichtet. „Die Zusammenarbeit zwischen Senat und Bezirksämtern soll auf eine neue Basis gestellt werden“, heißt es dazu im aktuellen Arbeitsprogramm des Senats. Die Pläne des Senats und seiner Zuarbeiter in den Bezirken zielen darauf ab, die Macht der zentralen Exekutive in Hamburg entscheidend auf Kosten der demokratisch gewählten Bezirksgremien auszuweiten und gesetzlich garantierte Optionen der Teilhabe der Bürger an demokratischen Entscheidungen faktisch auszuschalten.

Die Mittel zu dieser Entmachtung und Entmündigung von Bezirksparlamenten und Bürgern sind nicht Gesetzesänderungen unter der im Rechtsstaat vorgesehenen Beteiligung des Gesetzgebers. Vielmehr schließt der Senat – an der Bürgerschaft vorbei – Verträge mit den Bezirken ab, in denen die Bezirke „freiwillig“ umfangreiche Verpflichtungen eingehen müssen, sich einer strengen Überwachung (Controlling) durch den Senat unterwerfen, und dabei einen erheblichen Teil der Entscheidungsrechte ihrer demokratisch gewählten Gremien an Mitglieder und Kommissionen des Senats abtreten.

Eines erstes Beispiel dieser „Knebelverträge“ ist der von dem Eimsbütteler Bezirksamtsleiter Dr. Torsten Sevecke entworfene „Vertrag für Hamburg – Wohnungsneubau: Vereinbarung zwischen Senat und Bezirksämtern zum Wohnungsbau“. Der Vertragsentwurf trägt das Datum vom 15. Mai 2011 und wurde erstmals am 19.5.2011 von einer Bezirksversammlung – in Hamburg-Mitte – gebilligt, mit den Stimmen der SPD, GAL [sic] und LINKEN [sic], gegen die Stimmen der CDU, bei Enthaltung der PIRATEN-Partei.

Die auch unter dem Namen „Wohnungsbauvertrag“ bekannte Vereinbarung zwischen Senat und Bezirken sieht bereits zu Beginn eines Verfahrens strikte Anweisungen an die Bezirke durch eine auf Senatsebene erstellte „landesplanerische Stellungnahme“ vor, „die im weiteren Verfahren von den Bezirken zu beachten ist“. Gibt es trotzdem Meinungsverschiedenheiten über ein Bauvorhaben, so sind dazu demokratische Entscheidungen auf Bezirksebene nicht mehr vorgesehen. Vielmehr kommt es – nach Einschaltung eines vom Senat berufenen „Wohnungsbaukoordinators“ – zu einer „Entscheidung der Senatskommission für Stadtentwicklung unter Vorsitz des Ersten Bürgermeisters“. Danach hat der Bezirk keine Wahl mehr: „Eine Entscheidung der Senatskommission für Stadtentwicklung ist für alle Behörden und gemäß § 21 Bezirksverwaltungsgesetz für die jeweiligen Bezirksversammlungen und ihre Ausschüsse verbindlich.“

Da nun die Bezirksversammlungen keine freien Beschlüsse mehr fassen können, kann nach § 32 Absatz 1 Bezirksverwaltungsgesetz faktisch auch kein Bürgerentscheid mehr umgesetzt werden. Durch die „Knebelverträge“ zwischen Senat und Bezirken wird also nicht nur die Entscheidungssouveränität der Bezirksversammlungen beschnitten. Darüber hinaus werden auch Gesetzesbestimmungen zu direktdemokratischen Bürgerabstimmungen in den Bezirken ohne Gesetzesänderung und ohne Beteiligung des Gesetzgebers administrativ ausgehebelt.

Das Gesetzessurrogat „Vertrag für Hamburg“ benötigt zur Aushebelung eines Bürgerentscheids nicht mehr die Evokation, d.h. die Anwendung des Rechts des Senats, eine bezirkliche Entscheidung im Einzelfall an sich zu ziehen. Vielmehr befindet sich laut „Wohnungsbauvertrag“ jedes Bauvorhaben von Anfang an in einem Zustand der „Dauerevokation“, der Bürgerbegehren und Bürgerentscheide effektiv ausschließt. Evokation ist nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel.

Zur Erschwerung oder Verhinderung von Bürgerentscheiden bedarf es nun nicht mehr der Änderung des Paragraphen 32 Bezirksverwaltungsgesetz, wie sie nach dem so erfolgreichen Bürgerentscheid „Für die Respektierung des Bürgerwillens in Eimsbüttel!“ von Politikern in wochenlangen Pressekampagnen diskutiert wurde. Der Eimsbütteler Bezirksamtsleiter Dr. Torsten Sevecke, der nicht zuletzt wegen seiner massiven Parteinahme gegen das abzustimmende Bürgerbegehren auch eine schwere persönliche Niederlage bei dem Bürgerentscheid am 1. Juli 2010 erlitt und der dann im Gegenzug den gerade beschlossenen Bürgerentscheid mit juristischen Tricks „aushebelte“, hat nun mit dem „Vertrag für Hamburg“ ein Mittel gefunden, um Bürgerentscheide zunächst bei Wohnungsbauvorhaben generell auszuschließen.

Die Besorgnis über dieses obrigkeitsstaatliche Vorgehen Hamburger SPD-Politiker wird noch verstärkt angesichts der Absicht des Hamburger SPD-Senats, zahlreiche weitere „Verträge für Hamburg“ mit den Bezirken abzuschließen. In ihnen soll „vereinbart werden, welche Ziele konkret vom Senat definiert werden und wie die Bezirksämter zu ihrer Erreichung beitragen sollen und können“. Dabei sollen die Bezirke insbesondere auch „für ein gemeinschaftliches Denken und Handeln der Gesellschaft“ sorgen.

Verträge mit den Bezirken sollen, neben dem bereits vorliegenden „Wohnungsbauvertrag“, zu acht weiteren „zentralen Vorhaben des Senats“ abgeschlossen werden, dabei auch Vorhaben mit potentiellem Verbrauch von Grün- und Freiflächen, so etwa für Gewerbeflächen. Handelskammer und Senat haben hier bereits erheblichen Flächenbedarf angemeldet; darunter sind zahlreiche erhaltenswerte Landschaftsschutzgebiete mit reichhaltiger Flora und Fauna. Bürger, die die biologische Vielfalt und ein gesundes Stadtklima in Hamburg erhalten wollen, werden unter dieser SPD-Regierung wohl keine Möglichkeit haben, ihr Recht auf direktdemokratische Mitbestimmung wahrzunehmen, weil der Senat dies durch die politische Gleichschaltung der Bezirke administrativ ausschließt.

Die Projektgruppe Stadtnatur Hamburg empfiehlt den Bezirksversammlungen und Bezirksfraktionen in Hamburg, in ihre teilweise Entmachtung und Entmündigung nicht einzuwilligen und daher den zentralistischen Vertragsentwürfen des Senats und seiner Bezirkszuarbeiter die Zustimmung zu verweigern.

Quelle: Isebek-Initiative