Gengerstenfeld: Kurzer 3. Prozesstag in Gießen, Höhepunkt am 26.

Gendreck weg!
Gendreck weg!
Nur eine Stunde dauerte der dritte Prozesstag in der zweiten Instanz wegen der Teil-Feldbefreiung am Gießener Gengerstenfeld 2006. Der einzig geladene Zeuge, ein Polizist aus der Truppe, die eigentlich das Geschehen um das Feld beobachten sollte, kam nicht. Stattdessen wurde ein bisschen über Rechtsfragen diskutiert, Akten wurden gewälzt und der nächste Prozesstag geplant. Der wird es in sich haben – neben dem Versuchsleiter Kogel ist jetzt auch der Sachbearbeiter bei der Überwachungsbehörde geladen!

Zweifel daran, dass hier erstmals der Paragraph des rechtfertigenden Notstandes umfassend geprüft wird, bestehen kaum noch. Richter Nink sagte wörtlich: „Wir hangeln uns entland der Kriterien des § 34“. Der lautet so:

Wer in einer gegenwärtigen, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut eine Tat begeht, um die Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, handelt nicht rechtswidrig, wenn bei Abwägung der widerstreitenden Interessen, namentlich der betroffenen Rechtsgüter und des Grades der ihnen drohenden Gefahren, das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt. Dies gilt jedoch nur, soweit die Tat ein angemessenes Mittel ist, die Gefahr abzuwenden.

Üblicherweise gibt es bei politisch motivierten Straftaten keine Chance, diesen Paragraphen zu prüfen. Er ist zwar durchaus als Abwehranspruch gegen das totalitär angelegte Strafrecht (jedeR wird für staatlich nicht sanktioniertes Verhalten verfolgt, wenn nur der Staat das will) geschaffen worden – absurderweise ist es aber oft der Staat gewesen, der permanente Rechtsbrüche damit kaschierte, z.B. im Deutschen Herbst (Wahn der sog. Terroristenjagden) oder beim Fixieren in Psychiatrien und Pflegeheimen.

Auch in der ersten Instanz des Gießener Prozesses verbot der Richter die Debatte darüber und überhaupt alle Fragen zum beschädigten Genfeld, warf schließlich einen Angeklagten aus dem Gerichtssaal und urteilte ohne die Angeklagten. Interessanterweise muss ihm irgendwann dann jemand doch mal den Paragraphen gezeigt haben, denn im Urteil behauptete er plötzlich, dass die Kriterien des § 34 StGB nicht erfüllt seien – obwohl darüber im Prozess gar nicht gesprochen werden durfte. Eine Anzeige wegen Rechtsbeugung wurde eingestellt, weil der Richter nichts Verbotenes getan hätte (d.h. die Staatsanwaltschaft stellte fest, dass Richter lügen dürfen und dass Richter einfach geltendes Recht außer Kraft setzen dürfen – der Generalstaatsanwalt bestätigte die Entscheidung).

In der zweiten Instanz ist die Lage nun anders, d.h. der konkrete Versuch und das gesamte Umfeld der Gentechnikbehörden und -beratungsinstitutionen wird durchleuchtet, um zu prüfen, ob hier eine Gefahrenabwendung überhaupt verfolgt wird und ob die rechtlichen Anforderungen an Genehmigungsverfahren eingehalten werden. Als erster Schritt sind dazu fast alle verfügbaren Behördenakten herangeschafft und für alle Beteiligten vervielfältigt worden. Das sind etliche Aktenordner – und damit auch die neue Situation, dass in einem Gerichtsverfahren mal die tatsächliche Aktenlage der Überwachungs- und Genehmigungsbehörden sowie der Versuchsbetreiber geprüft wird. Einige durchaus spektakuläre neue Dinge wurden so selbst für die seit Jahren recherchierenden Angeklagten dadurch klar:

  • Versuchsleiter Kogel hat über die Fördergelder aus dem Programm zur Sicherheitsforschung bei Gentechnik seine Reisen zu Lobbytreffen der Gentechnikseilschaften finanziert.
  • Die sogenannten „unabhängigen“ Gutachten zu Freisetzungsversuchen werden nicht, wie im Gesetz vorgesehen, von der (ebenfalls verfilzten) ZKBS (Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit) geschrieben, sondern von der Behörde BVL selbst, deren Tätigkeit eigentlich von der ZKBS begutachtet werden soll.

Aber das sind nur Kleinigkeiten am Rande. Insgesamt demaskiert dieser Prozess Stück für Stück die Seilschaften der Gentechnik in Deutschland und deren konkrete Vorgehensweisen am Beispiel eines der wichtigsten Genversuchsfelder des Landes (welches zur Zeit am AgroBioTechnikum nahe Rostock weitergeführt wird). Der nächste Prozesstag wird der bisherige Höhepunkt dieses Verfahrens. Geladen sind u.a.:

  • Prof. Karl-Heinz Kogel, Leiter des Gengersteversuchs und des AgroBiotechnoly-Studienganges an der Uni Gießen
  • Dr. Jens Gerlach, Sachverständiger der Überwachungsbehörde

Das verspricht spannende Vernehmungen. Kogel wurde am ersten Prozesstag schon einige Zeit vernommen, aber noch nicht von den Angeklagten und den Verteidigern. Termin für die nächste Verhandlung:

  • Mittwoch, 26.8., 8.30 Uhr in Gießen, Landgericht (Ostanlage 15) im Raum 15: Vierter Verhandlungstag der Berufung des Prozesses gegen die Feldbefreier von 2006 in Gießen

Zuende ist der Prozess aber sicherlich an dann noch nicht, unter anderem sind etliche Beweisanträge durch Verteidigung und Angeklagte angekündigt, die weiterer Details der Gentechnikmafia, ihrer Handlungsweisen und Verstrickungen sowie der konkreten Abläufe beim Gengerstenversuch erhellen sollen.

Mehr Termine zum Thema:

  • 7.8. (Freitag) vormittag: Workshop zu Seilschaften in der Gentechnik auf der Sommerakademie von Attac in Karlsruhe
    Kennen Sie Filme oder Bücher über Monsanto? Immer wieder wird einen intensiver Filz zwischen Konzern und Aufsichtsbehörden aufgedeckt. Doch St. Louis, der Firmensitz des Round-up- und Agent-Orange-Herstellers, ist weit weg. Wie aber sieht es in Deutschland aus? Warum werden hier Jahr für Jahr immer neue Felder angelegt, obwohl 80 Prozent der Menschen keine Gentechnik im Essen wollen? Warum fließen Steuergelder auch dieser 80 Prozent fast nur noch in die Gentechnik, wenn es um landwirtschaftliche Forschung geht? Der Blick hinter die Kulissen der Gentechnik mit ihren mafiosen Strukturen und skandalösen Zustände bei Genehmigungen und Geldvergabe bietet eine erschütternde Erklärung, warum die überwältigende Ablehnung und der gesetzlich eigentlich vorhandene Schutz gentechnikfreier Landwirtschaft (einschließlich Imkerei) gegenüber der grünen Gentechnik so wenig Wirkung hat. Denn: In den vergangenen Jahrzehnten sind alle relevanten Posten in Genehmigungsbehörden, Bundesfachanstalten und geldvergebenden Ministerien mit GentechnikbefürworterInnen besetzt worden. Die meisten von ihnen sind direkt in die Gentechnikkonzerne eingebunden. Mafiose Geflechte von Kleinstunternehmen und seltsamen Biotechnologieparks names Biotechfarm oder Agrobiotechnikum sind entstanden, zwischen denen Aufträge und Gelder erst veruntreut und dann hin- und hergeschoben werden, bis sich ihre Spur auf den Konten der Beteiligten verliert. Es wird Zeit für einen Widerstand an den Orten der Seilschaften.
    In der Veranstaltung werden minutiös die Seilschaften zwischen Behörden, staatlicher und privater Forschung, Konzernen und Lobbyorganisationen durchleuchtet. Genauere Blicke lohnen auf die Genehmigungsbehörde BVL (Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsichergheit und deren Beratungsstellen JKI und ZKBS. Dann sollen beispielhaft zwei Zentren der grünen Gentechnik vorgestellt werden: Das AgroBiotechnikum in Groß Lüsewitz mit seinen Firmengeflechten um biovativ und BioOK und die Biotechfarm in Üplingen mit dem sachsen-anhaltinischen Gentechfilz um InnoPlanta.
    Den Abschluss bildet ein Ausblick auf Möglichkeiten des Widerstandes: „Wer nach mehr Forschung ruft oder sich auf staatliche Stellen verlässt, ist verlassen. Gentechnikfreiheit gibt es nur dann, wenn die 80 Prozent Ablehnung sich auch zeigen – nicht zwar nicht nur per Stimmzettel, Protestmail oder am Supermarktregal, sondern dort, wo die Gentechnikmafia arbeitet und die Felder angelegt werden!“
  • Ab 6. September: Aktionstage gegen Gentechnik und die Gentechnik-Seilschaften
    • Börde und umgebende Städte
      BioTechFarm in Üplingen
      – Felder Firma KWS über die Region verteilt
      – Bundesfachbehörde Julius-Kühn-Institut in Quedlinburg
      – Seilschaften in Sachsen-Anhalt rund um FDP-Landtagsfraktion und Lobbyverband InnoPlanta (Gatersleben)
      Bisheriger Terminplan (erweiterbar!)
      • Sonntag, 6.9.: Hoffest auf dem Lindenhof in Eilum … u.a. 15 Uhr: Vortrag „Monsanto auf Deutsch – Seilschaften der deutschen Gentechnik“
      • Montag, 7.9., ganztags in Üplingen vor der BioTechFarm: Proteste und Aktionen (zeitgleich findet dort das InnoPlanta-Forum 2009 statt … der Treffpunkt der Gentechnik-Seilschaften!)
      • Folgetage: weitere Aktionen und Veranstaltungen
    • Berliner Gentechnikseilschaften mit …
      – Genehmigungsbehörde Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL)
      – Bundesministerium für Landwirtschaftschaft, Ernährung und Verbraucherschutz (BMELV)
      – Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF)
    • Rostock und Groß Lüsewitz mit …
      – Institut für Agrobiotechnologie der Uni Rostock (Prof. Inge Broer)
      AgroBioTechnikum-Komplex mit BioOK, biovativ und weiteren in Groß Lüsewitz
      – Versuchsfelder in Thulendorf
      Bisheriger Terminplan (erweiterbar!)
      • 12.8.: Hoffest Ulenkrug und Infostand/Aktionen auf Wochenmarkt in Rostock
      • 13.8. nachmittags: Filme, Aktionen und mehr an den Versuchsfeldern in Sagerheide und am AgroBioTechnikum in Groß Lüsewitz
      • 14.8. ganztags: Aktionstag in Groß Lüsewitz
      • 14.-16.8.: Weitere Aktionen und Abendveranstaltungen

Mehr Informationen zum Gentechnikfilz

Quelle: indymedia