EP: Nahrungsmittel haben Priorität vor Kraftstoffen

Nachfolgend wird eine geringfügig veränderte und gekürzte Pressemitteilung des Europäischen Parlaments dokumentiert.

Angesichts des Anstiegs der Lebensmittelpreise und weltweit 854 Millionen Menschen, die an Hunger oder Unterernährung leiden, macht das Europäische Parlament deutlich, dass „Nahrungsmittel Priorität vor Kraftstoffen erhalten müssen“ und dass die Biokraftstofferzeugung strengen Nachhaltigkeitskriterien unterworfen werden sollte. Die Abgeordneten verlangen von der EU-Kommission, die Auswirkungen der Spekulation auf die Lebensmittelpreise zu untersuchen und geeignete Maßnahmen vorzuschlagen.

Das EP weist in einer heute angenommenen Entschließung zum „Preisanstieg bei Lebensmitteln in der EU und in den Entwicklungsländern“ darauf hin, dass nach Jahren stabiler oder fallender Grundstoffpreise die Weltmarktpreise für Weizen in den 36 Monaten bis Februar 2008 um 181% und die Preise für Reis seit Januar um 141 % gestiegen sind. Weltweit haben sich die Lebensmittelpreise insgesamt um 83 % erhöht. 854 Millionen Menschen leiden an Hunger oder Unterernährung (d.h., ihre Ernährung ist nicht gesichert); jährlich kommen 4 Millionen Menschen hinzu. 170 Millionen Kinder sind unterernährt und jährlich sterben 5,6 Millionen Kinder an Unterernährung.

Die weltweite Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln sollte Vorrang vor allen anderen Zielen haben, so das Parlament. Das grundlegende Menschenrecht auf Nahrung werde „täglich systematisch verletzt“. Die Staaten hätten die Pflicht, das grundlegende Menschenrecht auf Nahrung „zu schützen, zu achten und zu verwirklichen“.

Nahrungsmittel müssen Priorität vor Kraftstoffen erhalten

Das Parlament unterstreicht, dass Nahrungsmittel Priorität vor Kraftstoffen erhalten müssen und dass die Biokraftstofferzeugung strengen Nachhaltigkeitskriterien unterworfen werden sollte. Diese Kriterien müssten bei der Verwirklichung des in Bezug auf Biokraftstoffe vorgesehenen Ziels eingehalten werden.

Berichte in den Medien, die die Biokraftstoffe für die gegenwärtige Nahrungsmittelkrise verantwortlich machen, seien in Bezug auf die EU übertrieben. Gegenwärtig würden nur 2- 3 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche in der EU für diese Art der Erzeugung genutzt. Die in den USA und anderen Ländern verfolgte Politik der Zuweisung von mehr Land für den Anbau von Mais zur Herstellung von Bioethanol habe sich jedoch negativ auf die Preise und die Verfügbarkeit von Mais und anderen Getreidearten auf dem Nahrungsmittelweltmarkt ausgewirkt.

Debatte über Beitrag der Biotechnologie

Die gegenwärtige Krise verlange eine sofortige, intensive Debatte über den Beitrag, den die moderne Biotechnologie dazu leisten kann, dass weiterhin Lebensmittel zu angemessenen Preisen erzeugt werden, so das Parlament weiter.

Zudem müsse die Verwendung und Erzeugung von Bioenergie der zweiten Generation, für die Wirtschaftsdünger und landwirtschaftliche Abfallstoffe und keine landwirtschaftlichen Primärerzeugnisse verarbeitet werden, stärker gefördert werden.

Spekulation auf Lebensmittelpreise und Rolle der Einzelhändler untersuchen

Besorgt zeigen sich die Abgeordneten wegen der Auswirkungen der Spekulation mit Nahrungsmittelrohstoffen einschließlich Rohstoff-Hedgefonds, und damit der „Spekulation mit Hunger und Armut“. Die EU-Kommission wird aufgefordert, die Auswirkungen der Spekulation auf die Lebensmittelpreise zu untersuchen und auf der Grundlage dieser Untersuchung geeignete Maßnahmen vorzuschlagen.

Zudem müsse die Rolle der Einzelhändler innerhalb der Lebensmittelkette untersucht werden, da die Einzelhandelspreise im Vergleich zu den Lebenshaltungskosten „überproportional“ gestiegen sind. Die Einzelhändler müssten faire Preise an die Erzeuger zahlen und den Verbrauchern gleichzeitig Lebensmittel zu angemessenen Preisen anbieten.

Für EU-Aktionsagenda

Der EU-Ministerrat müsse sein Engagement für die Millenniums-Entwicklungsziele verstärken, indem er seine Finanzierungszusagen bekräftigt und eine EU-Aktionsagenda für die Millenniums-Entwicklungsziele verabschiedet, fordert das EP.

Dies EU-Aktionsagenda sollte in Schlüsselbereichen wie Bildung, Gesundheit, Wasser, Landwirtschaft, Wachstum und Infrastruktur „zeitlich festgelegte konkrete Meilensteine und Maßnahmen“ ermitteln, die dazu beitragen, das Erreichen der Millenniums-Entwicklungsziele – darunter auch die Ausrottung des Hungers – bis 2015 zu gewährleisten.

Die EU-Mitgliedstaaten und die internationale Gemeinschaft müssten dem „außerordentlichen Hilfsaufruf“ des Welternährungsprogramms „unverzüglich“ Folge leisten und es dabei zu unterstützen, sich den neuen Herausforderungen im Kampf gegen den Hunger zu stellen. Allerdings sei es unabdingbar, die Abhängigkeit von Nahrungsmittelhilfe zu verringern. Nötig seien daher mittel- und langfristige Schritte, um noch nachteiligere Folgen abzuwenden und den Ursachen dieser Krise zu begegnen.

Fairer internationaler Handel

Das EP plädiert des Weiteren für eine „stufenweise Öffnung der Agrarmärkte“, die sich nach den Entwicklungsfortschritten der einzelnen Entwicklungsländer und sozial gerechten und umweltverträglichen Handelsregeln richtet. In den handelspolitischen Verhandlungen mit Entwicklungsländern müsse die EU ein „asymmetrisches Präferenzsystem“ bevorzugt zur Geltung bringen, damit diese Länder in der Lage sind, bestimmte Instrumente der Angebotssteuerung und andere entwicklungspolitische Instrumente auf ihren Märkten weiter anzuwenden.

Zudem, so das Parlament weiter, gebe es ein „Recht auf Nahrungsmittelsouveränität und Nahrungsmittelsicherheit“. Ebenso müsse es erlaubt sein, dass die Länder ihre Märkte vor Einfuhren subventionierter Erzeugnisse schützen. Diese Exportsubventionierung landwirtschaftlicher Erzeugnisse destabilisiere die lokalen Märkte in den Entwicklungsländern.

Einkommenssituation der Landwirte in der EU berücksichtigen

Die Abgeordneten betonen schließlich, dass die Einkommenssituation der Landwirte in der EU berücksichtigt werden müsse. Angesichts steigender Kosten für Futtermittel, Energie, Düngemittel und andere Produktionsmittel sowie der immer „kosteninstensiveren, rechtlichen Auflagen“ müssen die Einnahmen der Landwirte deutlich steigen, wenn sie weiterhin in der Lage sein sollen, „die Nachfrage nach Lebensmitteln zu befriedigen“. Die Parlamentarier weisen darauf hin, dass die landwirtschaftlichen Einkommen „nur geringfügig gestiegen“ sind und dass die Landwirte in einigen Mitgliedstaaten „sogar einen Einkommensrückgang hinnehmen mussten“.

Die Resolution wurde mit 485 Ja-Stimmen, 52 Nein-Stimmen und 7 Enthaltungen angenommen.

REF: 20080521IPR29631