Botanik – Systematik: angewandte Evolutionsforschung

Systematik: angewandte Evolutionsforschung

Autor: Gregor Dietrich

Prinzipiell sollte in der Systematik (Angewandte Evolutionsforschung) einmal unterschieden werden zwischen
Systematik im engeren Sinn: Verwandtschaftsforschung, das Erfassen der relativen verwandtschaftlichen Beziehungen zueinander
Taxonomie: Das Eingliedern von Verwandtschaftsgruppen in eine (absolute) Taxonomische Hierarchie (Unterart, Art, Gattung, Familie, Ordnung, …)
Nomenklatur: Regelwerk zur Namensgebung

Die Verwandtschaftsforschung erfolgt jeweils mit den bestmöglichen Methoden. D.h. solang nur die Morphologie zur Verfügung stand, war es die. Später kamen z.B. Chromosomenzahlen, Inhaltsstoffe, Chromosomenbänderungen, Cuticulastrukturen, Pollenmerkmale und schließlich genetische Merkmale selbst.

Die Taxonomie richtet sich dann nach den sich daraus ergebenden Clustern. Derzeit sind nur sog. monophyletische Gruppen erlaubt. D.h., ist einmal erkannt, daß eine Gruppe eine Einheit, einen Ast am Stammbaum bildet, muß sie als eine Gruppe aufgefaßt werden. Paraphyletische Gruppen wie die Gymnospermen, die aus zwei gleichberechtigt neben den Angiospermen dastehenden Ästen (clades) bestehen, müssen aufgelöst werden. Auch die Saxifragaceen sind 'so etwas'. Hydrangeaceen und Saxifragaceen liegen sehr weit auseinander, in ganz anderen Ordnungen, die Menyanthaceae sind mit den Enzianen gar nicht verwandt, sondern gehören in Korbblüternähe, den ehemaligen Liliaceen geht es noch 'schlechter': -zig Familien in drei Ordnungen und bei ungerooteten (Gruppen, die an keinen Stammbaumast passen) Einkeimblättrigen. Es müssen aber auch z.B. die Tiliaceen in den Malvaceen aufgehen, obwohl sie morphologisch doch sehr aus der Reihe fallen – genetisch liegen sie nämlich innerhalb der Variationsbreite der Malvengewächse. Die Stammbäume zeigen aber nur, wo Gruppen getrennt werden 'können', nicht wo sie 'müssen'. Es bleibt weiter Auffassungssache, ob zwei zusammenlaufende clades zusammengefaßt oder getrennt betrachtet werden. Z.B. ob Fumariaceen als eigenständig betrachtet oder zu den Mohngewächsen gezählt werden. Oder ob Cabombaceen zu den Seerosengewächsen gehören oder nicht.
Das krasse Beispiel der Lindengewächse zeigt jedoch, daß dieses rein phylogenetische System unpraktikabel ist. Denn oft zeigt sich, daß Neuentwicklungen keine eigene Abzweigung im Stammbaum sind, sondern sich aus dem genetischen Pool eine Verwandtschaftsgruppe bilden. Somit sind monophyletische Gruppen kein Abbild der Evolutionsentwicklung. Stuessy hat daher eine Synthese aus phylogenetischem und morphologischem System vorgeschlagen. Das bedarf allerdings erst weiterer Diskussion.